18 Oktober 2024
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Die Evolution von Leinen: Von den antiken Wurzeln zur modernen Mode
Leinen ist ein vielseitiger und zeitloser Stoff mit einer jahrtausendealten Geschichte. Von seinen antiken Ursprüngen bis hin zu seiner herausragenden Rolle in der modernen Modeindustrie hat Leinen seine unangefochtene Position als luxuriöses und begehrenswertes Textil beibehalten. Lass uns einen Blick auf seine historischen Wurzeln, seine Bedeutung und seine anhaltende Präsenz in der heutigen Modeindustrie werfen.
Die Geschichte des Leinens beginnt in der Antike, und es gibt Belege für seine Existenz, die über 10 000 Jahre zurückreichen.
Laut Sylvie De Coster, Konservatorin des Museums Textur, Museum für Flax and Textilien in Kortrijk, wurden die ältesten Flachsfasern in der Dzudzuana-Höhle im Kaukasus gefunden und sind 32.000 Jahre alt, also mehr als 20.000 Jahre vor der Entwicklung der Landwirtschaft. Das älteste Stück Leinen stammt aus der Türkei und wurde vor 9.000 Jahren gewebt, 3.000 Jahre bevor die Menschen begannen, Wollkleidung zu tragen.
Zahlreiche Mythen und Geschichten rund um den Globus belegen die tiefe kulturelle Bedeutung von Leinen im Altertum. Diese Geschichten waren eng verwoben mit der Sinnsuche der Menschheit und ihren Versuchen, die Komplexität unserer Existenz zu entschlüsseln. Leinen, das aus der Flachspflanze gewonnen wird, wurde in alten Zivilisationen wie Ägypten, Mesopotamien und China angebaut. Vor allem die alten Ägypter schätzten Leinen sehr und verwendeten es in großem Umfang für Kleidung, Grabtücher und sogar als Zahlungsmittel.
Die mystischen Geschichten rund um das Leinen haben Jahrhunderte überdauert. Die alten Ägypter glaubten, dass die Göttin Isis ihnen die Kunst des Spinnens von Flachs zu Leinengarn beibrachte, während Tayet die ägyptische Göttin des Webens war. Sie wurde auch mit dem Mumifizierungsprozess in Verbindung gebracht; man nimmt an, dass ihr Name von dem ägyptischen Wort für Leichentuch stammt. Es heißt, dass sie auch den Vorhang webte, der am Eingang des Einbalsamierungszeltes hing.
Aufgrund dieser Assoziationen wurde sie schließlich mit den Leinenbinden in Verbindung gebracht, mit denen die mumifizierten Überreste der Pharaonen bedeckt wurden und die zum Schutz und zur Abdeckung von Verletzungen dienten. Tayet wurde auch die Göttin der Reinheit und Sauberkeit. Daher galt Leinen als heiliger Stoff, der mit Reinheit und Wiedergeburt assoziiert wurde, und folglich bei Mumifizierungsritualen von Verstorbenen essenziell wurde. Es symbolisierte die Erneuerung und Erhaltung des Lebens. Die Assoziation mit Reinheit und Rechtschaffenheit lässt sich auch auf das Christentum und das Alte Testament zurückführen, wo Leinen als Beispiel für den Stoff diente, mit dem der Körper Jesu Christi umhüllt wurde.
In der griechischen Mythologie wird die Geschichte von Penelope, der Frau des Odysseus, oft mit Leinen in Verbindung gebracht. Penelope ist bekannt für ihre Treue und ihren Einfallsreichtum während der langen Abwesenheit des Odysseus. Sie webte tagsüber ein Leichentuch für Odysseus und wickelte es nachts wieder auf, um ihre zahlreichen Verehrer aufzuhalten. Diese Geschichte symbolisiert den Innovationskraft und die Geduld, die das Weben von Leinen darstellt.
Im antiken Griechenland war Leinen das vorherrschende Gewebe und wurde sogar für Rüstungen verwendet, die als Linothorax bezeichnet wurden. Die Rüstung wurde durch Laminieren mehrerer Lagen Leinen mit einem einfachen Klebstoff aus Leinsamen oder Kaninchenfellen hergestellt. Er war außergewöhnlich stark, was Archäologen durch anspruchsvolle Tests nachgewiesen haben. Die Archäologen glauben, dass der Linothorax den Waffen, die zur Zeit Alexanders des Großen im Kampf eingesetzt wurden, standgehalten hätte.
In der nordischen Mythologie wird Leinen mit der Göttin Frigg in Verbindung gebracht, der Frau von Odin und Königin von Asgard. Frigg war für ihre Fähigkeiten im Spinnen und Weben bekannt. Es wurde angenommen, dass sie die Wolken aus Flachsfasern webte und damit den Himmel schuf. Leinen wurde dementsprechend mit dem himmlischen Reich und der Macht der Schöpfung in Verbindung gebracht. In der keltischen Folklore wurden dem Leinen auch schützende und magische Eigenschaften zugeschrieben, und es wurde oft in Ritualen und Zeremonien verwendet, um Reinheit und Spiritualität zu symbolisieren. Leinengewänder galten als mächtige Talismane, die böse Geister abwehren und Glück bringen konnten.
Die Ehrfurcht vor Leinen in diesen Erzählungen spiegelt die historische Bedeutung der Faser wider, die in das Gewebe alter Kulturen und Glaubenssysteme eingewoben ist. Seine Assoziation mit Reinheit, Schutz und göttlicher Handwerkskunst ist auch heute noch weit verbreitet.
Die aus der Flachspflanze gewonnenen Fasern machen es zu einem der ältesten bekannten Textilien, die aus einer natürlichen Pflanzenquelle hergestellt werden. In wärmeren und feuchteren Klimazonen belegen seine Festigkeit, Haltbarkeit und Atmungsaktivität seinen unübertroffenen Wert als idealen Stoff. Seine feuchtigkeitsableitenden Eigenschaften und die Luftzirkulation halten den Körper kühl.
Die Leinenindustrie hat Länder und ihre jeweiligen Kulturen, darunter Belgien, Deutschland und die Niederlande, maßgeblich geprägt. Auch osteuropäische Länder wie Polen, Litauen, Lettland und Estland wurden von ihr stark beeinflusst. Als lebenswichtiges Handelsgut brachte Leinen Wohlstand und revolutionäre Expansion, verwandelte Dörfer in städtische Zentren und zog Kaufleute und Händler aus ganz Europa an.
Die Leinenproduktion in Belgien hat das wirtschaftliche Wachstum gefördert und die künstlerischen und kulturellen Traditionen der Region beeinflusst. Die dezentralisierte Leinenproduktion vor dem Beginn der Industrialisierung unterstützte die ländliche Wirtschaft. Sie trug durch traditionelle Webtechniken, Stickereistile und regionale Textiltraditionen zum kulturellen Erbe bei.
“Ab dem 13. Jahrhundert war der Flachs das Herzstück der Agrarwirtschaft der gesamten Grafschaft Flandern, die Grundlage ihrer Gesellschaft und Kultur. Für unsere Vorfahren wäre es unverständlich, dass die meisten von uns noch nie ein Flachsfeld gesehen haben oder auch nur die geringste Vorstellung davon haben, wie eine Flachspflanze aussieht”, sagt Sylvie De Coster, Konservatorin des Museums Textur, Museum für Flax und Textilien in Kortrijk.
Flämisches Leinen fand seinen Weg zu einem weltweiten Kundenstamm, wobei Spanien sein größter Abnehmer war. Luxusstoffe wie Damast waren beim Adel und der Bourgeoisie sehr beliebt, während die Sklaven in der “Neuen Welt” einfache Leinenstoffe trugen.
Die Bedeutung von Leinen blieb zwar im Laufe der Geschichte bestehen, doch seine Beliebtheit schwankte im Laufe der Jahrhunderte. Mit der Einführung der Baumwolle und ihrer weltweiten Verfügbarkeit und Verbreitung kam es zu einer Verschiebung der Verbraucher:innenpräferenzen und der Textilproduktion, die zu einer systemischen Neuausrichtung führte. Dies hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Leinenproduktion und ihrem kulturellen Rahmen.
Im Vergleich zu Leinen war die Herstellung von Baumwolle wesentlich weniger arbeitsintensiv. Die Mechanisierung der Baumwollproduktion mit der Einführung der Baumwollentkörnungsmaschine während der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert ermöglichte die Verwandlung von einer Heimindustrie zu einem hocheffizienten Industriekomplex. Baumwollgewebe boten auch andere Eigenschaften als Leinen. Während Leinen für seine Festigkeit und Atmungsaktivität bekannt ist, ist Baumwolle weicher, geschmeidiger und wird oft als angenehmer zu tragen empfunden.
Außerdem gedieh der Baumwollanbau in Regionen mit günstigen Klima – und Bodenverhältnissen, wie zum Beispiel im amerikanischen Süden. Dies führte zur Einrichtung großer Baumwollplantagen und zu einem anschließenden Anstieg der Baumwollproduktion. In der Folge wurde die Baumwolle für Verbraucher:innen leichter zugänglich und erschwinglicher. Als hochpolitische Pflanze hat die Baumwolle den Kapitalismus geprägt und die globalen Machtstrukturen zu dem gemacht, was sie heute sind. Der Historiker Sven Beckert schildert, wie ein globales Baumwollimperium als zentrale historische Ursache der modernen kapitalistischen Weltwirtschaft entstand, angetrieben durch Sklaverei und Kolonisierung.
Während die Baumwolle an Popularität gewann, hatte Leinen Schwierigkeiten, seinen Marktanteil zu halten. Die arbeitsintensive Herstellung von Leinen erforderte zeitaufwändige Prozesse wie den Anbau von Flachs, das, Trocknen, Spinnen und Weben. Die zahlreichen Arbeitsschritte verteuerten das Endprodukt im Vergleich zu Baumwolle. Daher blieb die Assoziation von Leinen mit Luxus und hochwertiger Kleidung bestehen. Aufgrund der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Baumwolle wurde es jedoch für die breite Bevölkerung immer weniger zugänglich.
Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass Leinen zwar etwas von seiner Dominanz als Mainstream-Stoff eingebüßt hat, aber weiterhin seine Nische hat und für bestimmte Anwendungen wichtig bleibt. In den letzten Jahren hat Leinen mit dem wachsenden Interesse an nachhaltigen und umweltfreundlichen Textilien einen Aufschwung erlebt. Seine natürlichen und erneuerbaren Eigenschaften und das gestiegene Bewusstsein für seine Umweltvorteile haben zu einer Wiederbelebung von Leinen in der Modebranche geführt. Dank dieser Renaissance konnte Leinen einen Teil seiner Bedeutung und Beliebtheit auf dem Markt zurückgewinnen. Weltweit macht Leinen jedoch weniger als 1% des weltweiten Textilverbrauchs aus.
"Der globale Leinenstoffmarkt wird durch das Wachstum der Modeindustrie und der Flachsfaser–und Wergindustrie angetrieben... Unterstützt durch das Wachstum des Wohndekorationssektors in den Entwicklungsregionen wird erwartet, dass die Leinenstoffindustrie im Prognosezeitraum von 2023-2028 ein gesundes Wachstum verzeichnen wird." Expert Market Research
Im Zuge des zunehmenden Umweltbewusstseins und der ethischen Mode hat sich Leinen zu einem beliebten Stoff entwickelt. Es ist biologisch abbaubar, erneuerbar und benötigt deutlich weniger Ressourcen als andere Textilien. Seine hypoallergenen und antibakteriellen Eigenschaften helfen auch dabei, die Ansammlung von Allergenen wie Hausstaubmilben zu verhindern. Dies macht es zu einer geeigneten Wahl für Personen mit empfindlicher Haut oder Allergien.
Flachs benötigt im Vergleich zu Baumwolle wenig bis gar kein Wasser und keine Pestizide, was ihn zu einer umweltfreundlichen Alternative macht.
"Für die Produktion von einem Kilogramm Flachs werden null Liter Wasser benötigt, für die Produktion von einem Kilogramm Baumwolle dagegen 7.100 Liter Wasser." Sylvie De Coster, Konservatorin von Textur, Museum für Leinen und Textilien
Außerdem ist die Leinenproduktion eine Zero Waste Faser, da jeder Teil der Flachspflanze verwendet werden kann.
“Jeder Teil der Pflanze wird verwendet: die Fasern für Textilien, die Samen für Leinöl (das in Lebensmitteln, Kosmetika, Farben, Lacken, Linoleum und Viehfutter verwendet wird) oder die Schäben (holzige Teile) als Einstreu in Tierställen oder in Baumaterialien,” erklärt die Konservatorin Sylvie De Coster.
Um für die Schäben zu werben und die Öffentlichkeit über ihre Vielseitigkeit aufzuklären, hat Textur, Museum für Flax and Textilien, kürzlich eine Videokampagne über vier Verwendungsmöglichkeiten der Schäben gestartet, die oft als Nebenprodukt der Faser angesehen werden, aber ein immenses Potenzial haben.
Bis heute gilt Leinen als ein arbeitsintensiver Stoff. Die Verarbeitung von Flachsfasern zu Leinen erfolgt in mehreren Schritten, die viel Fachwissen und Liebe zum Detail erfordern.
Die Herstellung von Leinen beginnt mit dem Anbau von Flachspflanzen. Flachs erfordert besondere Bodenbedingungen und ein präzises Ernteverfahren. Sobald die Flachspflanzen geerntet sind, werden sie einem Prozess unterzogen, das Rotte genannt wird. Die äußeren Stängel werden in Wasser eingeweicht, um das Pektin, das die Fasern zusammenhält, abzubauen. Dieser Prozess kann durch Tauröste (bei der der Flachs auf den Feldern liegen bleibt) oder durch Wasserrotte (bei der der Flachs in Wasser getaucht wird) erfolgen. Beide Methoden erfordern eine Überwachung und ein geeignetes Timing, um die gewünschte Faserqualität zu erreichen.
Anschließend werden die Flachsstängel getrocknet und durchlaufen dann den Dreschprozess, bei dem die Flachsfasern vom Stroh getrennt werden. Das Dreschen kann maschinell oder manuell erfolgen und erfordert Fachwissen, damit die Fasern intakt bleiben.
Sobald die Fasern getrennt sind, werden sie einem Prozess unterzogen, der “scutching” genannt wird und bei dem das Stroh und die holzigen Bestandteile entfernt werden. Anschließend werden sie gekämmt oder gehäckselt, um die Fasern weiter zu verfeinern und zu glätten und alle verbleibenden Verunreinigungen zu entfernen.
Der letzte Schritt in der Leinenproduktion ist das Spinnen und Weben der Fasern zu Stoff. Leinengarn wird in der Regel mit einer Technik gesponnen, die als Nassspinnen bezeichnet wird. Dabei wird den Fäden Feuchtigkeit zugeführt, um ihre Geschmeidigkeit zu verbessern. Für das Weben von Leinengewebe sind spezielle Webstühle und erfahrene Weber:innen erforderlich, um die gewünschten Muster und Texturen zu erzeugen.
Dass die Leinenherstellung so arbeitsintensiv ist, liegt an der Komplexität dieser Prozesse und an der Sorgfalt, die in jeder Phase erforderlich ist. Zwar haben technologische Fortschritte bestimmte Aspekte der Leinenherstellung effizienter gemacht, doch viele Schritte sind nach wie vor mühsam und erfordern Fachwissen, um die Qualität und Integrität des Gewebes zu gewährleisten.
Es ist erwähnenswert, dass die Komplexität der Leinenherstellung dazu beiträgt, dass Leinen als wertvoll wahrgenommen – und die damit verbundene Handwerkskunst geschätzt wird. Die Liebe zum Detail und der handwerkliche Charakter von Leinenstoffen tragen oft zu ihrer Attraktivität bei und festigen ihre Stellung als exklusive Textilie in der Modeindustrie.
"650.000 Millionen Kubikmeter Wasser würden verbraucht, wenn die Flachspflanzen durch Baumwolle ersetzt würden". Audit European Commission, 2007/Report from the Commission to the Council and European Parliament, Brussels, 2008/LCA linen shirt, Bio Intelligence Service, 2007
Die regenerativen Eigenschaften von Flachs sind vielfältig. Flachspflanzen haben das Potenzial, während ihres Wachstums Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden. Nach Angaben des Europäischen Verbandes für Flachs und Hanf bindet ein Hektar Flachs jährlich 3,7 Tonnen CO2. Der Verzicht auf Pestizide und Düngemittel trägt unweigerlich zu einem gesünderen Ökosystem bei und verringert das Risiko einer chemischen Belastung für Landwirt:innen und umliegende Gemeinden.
Außerdem fördert er die Bodengesundheit durch sein tiefes Wurzelsystem, welches Bodenerosion verhindert und die Bodenstruktur verbessert. Der Anbau von Flachs fördert auch die biologische Vielfalt, da er Lebensräume für nützliche Insekten und Wildtiere bietet.
"Der Flachsanbau hat positive Auswirkungen auf die Vielfalt der Ökosysteme und bietet eine willkommene ökologische Pause für die Bodenqualität, die biologische Vielfalt und die Landschaften." Advisory Commission Report to the European Parliament, Brussels, May 20, 2008
Als Naturfaser kann Leinen zu Kohlenstoffneutralität oder sogar Kohlenstoffnegativität beitragen, wenn man den gesamten Lebenszyklus des Stoffes betrachtet. Außerdem geht seine Vielseitigkeit über Kleidung hinaus. Es kann in Heimtextilien, Polstermöbeln und anderen Innenraumanwendungen verwendet werden. Durch die Verwendung von Leinen in verschiedenen Produkten lassen sich die Nachhaltigkeitsvorteile des Stoffes über die Mode hinaus auf Viehfutter, Baumaterialien, Seifen und Lebensmittel ausweiten. Dadurch wird der gesamte ökologische Fußabdruck mehrerer Branchen verringert.
Die Produktionsmethoden bestimmen jedoch letztlich die nachhaltigen Eigenschaften des Stoffes, zum Beispiel. ob es durch Tau oder mit chemischen Mitteln geröstet wurde. Mit anderen Worten: Traditionelle Herstellungsverfahren sind letztlich umweltfreundlicher, erfordern aber Fachkräfte und Geduld. Effizienz und Schnelligkeit haben einen ökologischen Preis, der auf lange Sicht viel teurer ist.
Darüber hinaus “zwingen immer heißere und trockenere Sommer in ganz Europa die Flachsanbauer dazu, mit Winterflachs und Hanf zu experimentieren, um das Risiko von Ernteausfällen zu mindern”, sagt Sylvie De Coster, Konservatorin des Museums Textur, Museum über Flax and Textilien in Kortrijk.
Die ökologischen Vorteile wirken sich auch direkt auf die Menschen aus, die die Pflanze und die Fasern anbauen und verarbeiten. Die geringere Abhängigkeit von Pestiziden und Chemikalien beim Flachsanbau bedeutet, dass Arbeiter:innen weniger Schadstoffen ausgesetzt sind. Da die Produktion in Handarbeit erfolgt, bietet sie auch wirtschaftliche Chancen, insbesondere in ländlichen und landwirtschaftlichen Gemeinden.
Daher werden bei der Leinenherstellung traditionelle Handwerkskünste und Fertigkeiten direkt bewahrt, wodurch das kulturelle Erbe der Gemeinschaften erhalten bleibt und lokale Traditionen und Kenntnisse gepflegt werden.
Der Europäische Flachs – und Hanfverband (CELC) wurde gegründet, um den Bekanntheitsgrad von europäischem Leinen zu erhöhen und es zu fördern. Diese Organisation hat die eingetragene Marke MASTERS OF LINEN hervorgebracht. Dieses Markenzeichen steht für exzellentes Leinen 100% Made in EUROPE, vom Feld über das Garn bis zum Gewebe.
Der größte Teil des Faserflachses wird nach wie vor in Westeuropa, insbesondere in Frankreich und Belgien, produziert. Allein in Belgien sind über 3.300 Flachsfelder von Textur, dem Museum für Flachs und Textilien, kartiert worden und können sogar online eingesehen werden. Doch der größte Teil der Fasern wird zur Textilverarbeitung nach China und Indien transportiert sowie auch Polen und Italien. Die niedrigen Lohnkosten, die qualifizierten Arbeitskräfte und die modernen Maschinen machen China und Indien zu den führenden Leinenproduzenten. Mehr als 70% des Leinen wird für die Herstellung von Kleidung verwendet.
Da Leinen die europäischen Kulturen und Gemeinschaften tiefgreifend geprägt hat, werden seine entscheidende historische Rolle und seine Abhängigkeit vom Wissenstransfer zwischen den Generationen neu beleuchtet. Lokale Projekte projizieren diese historische Faser und uralte Traditionen in einen modernen Kontext.
In den Niederlanden untersucht The Linen Project die wirtschaftliche Tragfähigkeit des lokalen Flachsanbaus und der Leinenproduktion in den jeweiligen Ländern und setzt sich für deren Wiederbelebung ein.
"Die inhärenten Verbindungen zwischen (kulturellem) Erbe, Bildung, Landwirtschaft, Design, Handwerk und Wirtschaft werden im Rahmen des Leinenprojekts aktiviert. Ein wachsendes Bewusstsein für diese Interdependenz setzt den Austausch verschiedener Werte, Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen in Gang." The Linen Project
Das Projekt konzentriert sich insbesondere auf den Aufbau von Gemeinschaften und die Wiederbelebung der lokalen Leinenwirtschaft. Die Shared Stewardship-Gemeinschaft, die Anfang 2020 durch einen offenen Aufruf des Leinenprojekts ins Leben gerufen wurde, beschäftigt sich intensiv mit dem gemeinsamen Anbau von Textilien, Objekten und Kleidungsstücken aus Samen. Sie machen sich das Vergemeinschaftungsprinzip zu eigen und kommen zusammen, um ein neues wirtschaftliches, soziales und kulturelles Paradigma zu schaffen.
Das ganze Jahr über pflegen die Linen Stewards als Kollektiv das Wachstum des Flachses, sammeln die Ernte ein und verarbeiten die Fasern mit großer Sorgfalt. Sie wenden manuelle Techniken an, um Leinengarne zu spinnen, Textilien aus Leinen zu stricken oder zu weben und verschiedene Gegenstände zu formen, um schließlich einzigartige Stücke für den persönlichen Gebrauch zu fertigen. Jeder Schritt dieser Prozesse wird absichtlich von Hand ausgeführt. Innerhalb der Gemeinschaft herrscht eine gemeinsame Verantwortung, die den Mitglieder:innen die Befugnis gibt, Entscheidungen zu treffen, die das Wohlergehen aller von ihren Unternehmungen betroffenen Personen und Einrichtungen berücksichtigen.
In Leipzig, Deutschland, definiert lokaltextil Flachs und Leinen als ein Bildungs – und Kulturmedium zur Vermittlung komplexer Inhalte. Das Netzwerk arbeitet mit Wissenschaftler:innen zusammen, die neue Möglichkeiten des Faseraufschlusses aufzeigen.
"Es braucht immer Ressourcen und wahnsinnig viel technologisches Know-how, um überhaupt zu einer textilen Fläche und dann zu einem textilen Produkt zu kommen." Eva Howitz, Mitbegründerin von lokaltextil
Durch die Zusammenarbeit mit Künstler:innen, Designer:innen und Handwerker:innen erhält das Thema die notwendige Tiefe und Komplexität. In Zusammenarbeit mit Kultur – und Bildungseinrichtungen hat lokaltextil den Leinenanbau in der Leipziger Innenstadt auf einem Stück Land eingeführt und die Öffentlichkeit durch Beobachtung und Diskussion zur Teilnahme eingeladen.
Der vollständige und aufwendige Prozess vom Samen bis zum Textil wird durch Aktivierung, Anregung und Selbstermächtigung zum Selbstversuch durchgeführt. Diese inklusiven und lokal begrenzten Projekte ermöglichen es jedem, zu erkunden, woher Kleidung und Textilien, die so selbstverständlich erscheinen, stammen. In diesem Fall legten 45 Sechstklässler und ihre Lehrer:innen ein Flachsfeld vor ihrem Schulgebäude an, um es zu beobachten und Verständnis und Selbstwirksamkeit zu fördern.
"Indem wir von gestern lernen und altes Wissen in einem modernen, 'glokalisierten' Kontext anwenden, können wir den Herausforderungen von morgen wiederstandsfähiger begegnen." Eva Howitz, Mitbegründerin von lokaltextil
Für lokaltextil ist der Weg das Ziel, und die gemachten Erfahrungen sind ästhetische Forschung, von der man sich erhofft, dass sie letztlich dazu führ, dass die Industrie erkennt, dass es vielleicht sinnvoller wäre, mehr klimakrisenresistente Pflanzen wie Leinen anzubauen.
Während sich die Menschheit mit ihrer voranschreitenden körperlichen sowie geistigen Trennung von der natürlichen Welt und ihrer Positionierung als Spezies auseinandersetzt, kann Flachs als Katalysator und reparative Pflanze agieren. Er kann unsere Verbindung zur Erde, zu ihren Bewohnern und zueinander neu erblühen lassen. Der Prozess der Leinenherstellung war ein kooperativer Prozess. Er erforderte viele Hände, unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen und förderte den Zusammenhalt der Gemeinschaft und die Kollektivität eher als die Individualisierung.
Eine Fallstudie über die Handweberei in Sri Lanka hat gezeigt, dass die handwerkliche Praxis der Handweberei einer der potenziellen Wege zur Erreichung von Nachhaltigkeit in der Modeindustrie ist. Das Handwerk fördert von Natur aus die Grundsätze des fairen Handels und Zero Waste Praktiken, indem es die Wertschöpfung als Teil der Wertschöpfungskette neu definiert.
In Anbetracht der Herausforderungen ist die Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung für die globale wirtschaftliche und unsere geistige Widerstandsfähigkeit. Sie ermöglicht eine Verlagerung der global ausgerichteten Wirtschaft hin zu ortsgebundenen, auf den Menschen ausgerichteten Aktivitäten und trägt gleichzeitig zur Bewältigung unserer aktuellen Krisen bei. Natürliche, biologisch abbaubare Textilien wie Leinen können einen Weg zur Regeneration ebnen. Sie können einen Ausblick darauf geben, wie eine handwerkliche und erdverbundene Modeindustrie aussehen könnte.
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