19 September 2024
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Die schwedische Zeitung Aftonbladet enthüllt die Textilkollektionsinitiative von H&M als Farce
Im Reich der Mode ist Fast Fashion als eine Kraft entstanden, die unsere Kleiderschränke in atemberaubendem Tempo umgestaltet. Die Anziehungskraft erschwinglicher Preise und sich ständig ändernder Trends hat weltweit die Konsument:innen in ihren Bann gezogen. Doch unter dieser Fassade des Komforts liegt ein wachsendes Problem: Textilabfälle. Von der Atacama-Wüste bis zu den Küsten Ghanas hat der rasante Aufstieg von Fast Fashion ganze Ökosysteme dezimiert. Wie diese miteinander verknüpft sind und wie weitreichend die Folgen sind, ist unfassbar. Dennoch hat die Umweltbelastung durch die Entsorgung und Produktion von Kleidung auch die Tür zu potenziellen Lösungen geöffnet.
Fast Fashion, gekennzeichnet durch die schnelle Produktion preiswerter Kleidungsstücke im Einklang mit den neuesten Trends, hat die Modebranche revolutioniert. Unermüdliche Maschinen, eine weltweite, größtenteils unterbezahlte Belegschaft und ein sprühender Hunger nach Produktivität und Profit haben aus einem Luxusgut ein Wegwerfprodukt gemacht. Diese Herangehensweise hat zu einem beispiellosen Anstieg des Kleiderkonsums geführt. Die globale Produktion hat sich zwischen 2000 und 2014 verdoppelt und überschreitet jetzt atemberaubende 100 Milliarden Kleidungsstücke jährlich. (Quelle: McKinsey & The Ellen MacArthur Foundation. Das World Economic Forum & ShareCloth geben an, dass jährlich sogar 150 Milliarden Kleidungsstücke produziert werden.)
Unter der glänzenden Oberfläche des schnellen Umsatzes von Fast Fashion verbirgt sich eine beunruhigende Realität: Textilabfälle sind zu einer eskalierenden Krise geworden. Das rasante Tempo der Branche, das die Konsument:innen ständig zum Kauf und zur Entsorgung von Kleidung verführt, hat eine überwältigende Menge an Abfall erzeugt. Laut Fashion United “ist der Konsum von Kleidung in den letzten 20 Jahren explosionsartig angestiegen. Modekonsument:innen kaufen jedes Jahr über 80 Milliarden neue Kleidungsstücke. Dies ist über 400% mehr als vor nur zwei Jahrzehnten.”
Allein in den Vereinigten Staaten landen jährlich geschätzte 11,3 Millionen Tonnen Textilabfälle, das entspricht 85% aller Textilien, auf Mülldeponien. Ein früherer Artikel von COSH! beleuchtete die berüchtigte Dundora-Textil-Deponie in Kenia, deren erschütternde Bilder weltweit umhergegangen sind.
Der Zustrom von weggeworfener Kleidung nach Kenia aus globalen Quellen hat in den letzten Jahren ebenfalls erheblich zugenommen, ebenso wie in Ghana. Dies hat dazu geführt, dass auf jeden Kenianer jährlich 17 Kleidungsstücke entfallen, von denen bis zu acht nutzlos sind. Beide Länder kämpfen gegen eine westliche Müllkolonialisierung, die beispiellose Ausmaße erreicht hat.
Die Überproduktion, die zu unkontrolliertem Konsum führt, ist ein inhärenter Bestandteil der profitablen Geschäftsmodelle der wichtigsten Akteure der Branche. H&M, Boohoo und SHEIN sind nur einige Namen auf einer immer länger werdenden Liste von Giganten. Doch was passiert mit all dieser Überproduktion? Wo landen unsere ausgedienten Textilien, die wir sorgfältig in zahlreiche Container entlang unserer Straßen werfen?
In einem aktuellen Skandal, der auf einer investigativen Recherche des schwedischen Boulevardblatts Aftonbladet basiert, wurde H&Ms Kleidersammelprogramm als alles andere als nachhaltig entlarvt. Seit 2013 bietet H&M ein In-Store-Kleidersammelprogramm an, um die beiden widersprüchlichen Bereiche der Fast-Fashion und Nachhaltigkeit zu vereinen. Unter dem Slogan “Let’s close the loop” werden Kleidungsstücke gesammelt, angeblich recycelt und die Textilabfälle reduziert. H&M pries diese Initiative als “die größte Kampagne ihrer Art weltweit” an. Die Marke gab an, allein im Jahr 2020 18.800 Tonnen ausgedienter Kleidung und Textilien durch ihr Kleidersammelprogramm gesammelt zu haben. Das entspricht 94 Millionen T‑Shirts.
Weder im Nachhaltigkeitsbericht der Marke noch auf ihrer Website wird bekannt gegeben, welcher Prozentsatz der 18.800 Tonnen gesammelter Kleidung tatsächlich recycelt wird. Die neuesten investigativen Ergebnisse machen die selbsternannte größte Kampagne ihrer Art zu einem Schwindel, der nur in der Theorie beeindruckend ist. Durch eine Überprüfung von Zolldokumenten der Geschäftspartner:innen von H&M entdeckte die Untersuchung von Aftonbladet, dass H&M‑Produkte zu den fünf häufigsten Marken gehören, die die Strände Ghanas mit Textilabfällen überfluten. Es wurde festgestellt, dass das Unternehmen allein im letzten Jahr 314.000 Kilogramm Textilien nach Ghana exportiert hat. Das entspricht etwa einer Million Kleidungsstücken.
In einem gewagten Schritt verfolgte die Zeitung mehrere H&M‑Kleidungsstücke mit GPS-Sendern, um ihre wahre Reise zu enthüllen. Zwei Jacken wurden bis zu einem Recycling-Unternehmen in Ungarn verfolgt. Eine Jacke jedoch wich von ihrem erwarteten Weg ab und landete in den Händen eines Textilunternehmens in Indien. Weitere verfolgte Artikel machten sich auf den Weg nach Polen, Benin und Südafrika. Die digitale Verfolgungjagd ging für drei Stücke plötzlich in’s Leere. Das lässt uns über ihr unglückliches Schicksal spekulieren, wahrscheinlich verloren in den Ozeanen, die sie überquerten.
Die Auswirkungen dieser Ergebnisse sind eher entmutigend. H&M versichert den Verbraucher:innen zuversichtlich, dass nachhaltig ausgerichtete Unternehmen eine sorgfältige Überwachung der ordnungsgemäßen Verwaltung aller gesammelten Kleidungsstücke sicherstellen werden. Doch die unbequeme Realität steht in starkem Kontrast dazu. Keines der sorgfältig verfolgten Artikel blieb innerhalb den Grenzen Schwedens, wie ursprünglich geplant. Stattdessen verschwanden sie mysteriös oder wurden von profitorientierten Recycling- und Textilunternehmen aufgegriffen. Diese Unternehmen exportieren gebrauchte Textilien in Länder wie Ghana, Kenia und Uganda. Darüber hinaus legten diese Kleidungsstücke weite Strecken von über 1000 Kilometern zurück und hinterließen einen unauslöschlichen CO2-Fußabdruck, der weit über ihre Produktion hinausreicht.
Wie viele andere Länder im globalen Süden ist Ghana zu einer Müllkippe für Textilabfälle geworden. Die große Menge an billiger, minderwertiger Kleidung, oft als “Kleidung toter weißer Männer” oder “obroni wawu” bezeichnet, überschwemmt lokale Märkte und Second-Hand-Kleidungsläden. Laut der Or Foundation verlassen etwa 40% der Kleidungsstücke, die durch den Einzelhandel von Kantamanto zirkulieren, den Markt als Abfall. Der entscheidende Treiber dafür ist die Tatsache, dass es einfach zu viel Kleidung gibt. The Guardian berichtet, dass täglich bis zu 100 Tonnen Kleidungsstücke in Katamanto entsorgt werden müssen. Dies hat aus der einst unberührten Korle-Lagune ein tötliches Gewässer gemacht.
Die großartigen Nachhaltigkeitsversprechen, die von H&M angepriesen wurden, scheinen jetzt nicht mehr als ein geschickt inszenierter Marketingtrick zu sein. Die Kleidungsstücke, die eine Ära der Kreislaufwirtschaft einleiten sollten, durchliefen eine verwirrende Odyssee, die Umweltverantwortung missachtet und wenig Respekt für deren Herkunft zeigt. Die Marken, die die Diskussion dominieren, eine komplexe Infrastruktur beherrschen und über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, haben das Potenzial, zum Katalysator des Wandels zu werden. Doch leider versagen sie sowohl der Gesellschaft als auch dem Planeten.
Als Reaktion darauf stellen afrikanische Händler:innen, Ladenbesitzer:innen und lokale Designer;innen ihre Erfindungsgabe auf die Probe, indem sie zerschlissene T‑Shirts, Boxershorts und Hemden aus Märkten wie Katamanto umgestalten und reparieren. Innovative afrikanische Designer wie Buzigahill in Uganda, The Revival und Slum Studio’s Gründer Sel Kofiga in Ghana verwandeln Textilabfälle in kunstvolle Kreationen. Sie entfalten die Komplexität des westlichen Müllkolonialismus und senden ihre politisch geladenen Upcycling-Kreationen zurück in den globalen Norden.
Die Geschichte dieser verfolgten Kleidungsstücke enthüllt eine ernüchternde Realität: Die wahre Auswirkung der Modeindustrie erstreckt sich weit über unsere Kleiderschränke hinaus. Die Konsequenzen reichen durch das globale Ökosystem, von der Ausbeutung von Ressourcen und Menschen bis zur Zerstörung ferner Länder. Es ist ein Weckruf, der durch die Korridore unseres kollektiven Gewissens hallt und uns dazu drängt, unsere Konsumgewohnheiten zu überdenken und einen verantwortungsbewussteren Ansatz zur Mode zu verfolgen.
Als Konsument:innen besitzen wir die Macht, die Zukunft der Mode zu gestalten. Indem wir Marken hinterfragen, recherchieren und unterstützen, die Nachhaltigkeit priorisieren und ihre Versprechen umsetzen, können wir die Branche auf einen besseren und gerechteren Weg lenken.
Die Reise dieser Kleidungsstücke repräsentiert mehr als nur ihre physische Trajektorie; sie symbolisiert die Entscheidungen, die wir als Individuen treffen, und die Auswirkungen, die wir gemeinsam erzielen können. Es ist eine Erinnerung daran, dass echte Veränderung nicht nur eine Transformation der Industriepraktiken erfordert, sondern auch eine grundlegende Veränderung unserer Konsummentalität.
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